Offener Brief zum Berufsbild “TGA-Planer und Energieberater”
Kritische Selbsteinschätzung
Als Ingenieur der Technischen Gebäudeausrüstung fühle ich mich zunehmend auf verlorenem Posten, da immer mehr Hersteller es vorziehen, nicht mehr mit dem Ingenieur, sondern am liebsten direkt mit dem Handwerker oder gar Endkunden zusammen zu arbeiten. Zum Teil sind viele Ingenieure daran nicht ganz unschuldig. Auch Sie haben in der Vergangenheit aufgrund der Tatsache, dass die Honorare nicht mehr auskömmlich waren, sich von den Herstellern in einem Maße zuarbeiten lassen – zum Teil in einer Weise, die schon aus Gründen der Haftung als grenzwertig zu betrachten ist.
Im Zuge einer fortschreitenden Digitalisierung und Entwicklung von EDV gestützten Planungshilfen bleibt zum Teil das Gefühl für die Richtigkeit auf der Strecke. Die Fähigkeit, Berechnungsergebnisse plausibel zu hinterfragen, geht bei vielen Jungingenieuren zunehmend verloren. Das zum Teil blinde Vertrauen auf Software hat fatale Folgen. So ist es in meinem Berufsalltag schon mehrfach vorgekommen, dass Berechnungsergebnisse, die aus dem Computer kamen, mir nicht plausibel waren. Nach einem händischen Nachrechnen musste ich dann feststellen, dass die für viel Geld gekaufte Software fehlerhaft war. Die Reaktion der Hersteller ist an in der Regel abweisend und nicht alle Fehler werden korrigiert. Fatalerweise haftet hier nicht der Softwarehersteller, sondern der Planer. Mangelhafte Berechnungsverfahren und Normen, die eher den Herstellerinteressen als den Gesetzen der Physik folgen, machen die Situation nicht einfacher.
Störfaktor Fachingenieur?
Leider muss ich immer häufiger feststellen, dass Hersteller technische Daten häufig nicht oder nur unzureichend bereitstellen und uns Planer zum Teil ins offene Messer rennen lassen. So haben wir erfahren müssen, wie wir auf Grund von fehlerhaften Herstellerangaben am Ende gegenüber unseren Kunden in die Haftung genommen wurden. Mittlerweile kenne ich eine ganze Reihe von Kollegen, die sich wie wir weigern, mit den Produkten einiger großer Hersteller zu planen. Es ist keine gute Entwicklung, wenn Hersteller den Handwerker oder Endkunden besser unterstützen als den Planer und nicht bereit sind, die für eine Planung erforderlichen technischen Daten und Unterlagen bereitzustellen. Dies führt zum einen dazu, dass eine ingenieurtechnische Planung von den Herstellern deutlich erschwert wird und die Umsetzung von sinnvollen Lösungen zum Teil nur mit erheblichem Zusatzaufwand realisierbar sind.
Energiewende und Sanierungsquote – Wer soll das leisten?
Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn wir eine Sanierungsquote von mindestens zwei Prozent (Ziel der Bundesregierung) erreichen können. Derzeit liegen wir unter einem Prozent. Hier helfen auch zusätzliche Fördermittel nicht weiter, da das Angebot an Handwerkern und Ingenieuren gemessen am Bedarf viel zu niedrig ist. Hier wäre es wichtig, flankierend in die Aus- und Weiterbildung zu investieren. So berichtete ein befreundeter Professor aus Ulm (ich kann fragen, ob er mit seinem Namen zitiert werden möchte) jüngst, dass immer mehr seiner Studenten nach dem Master eine Ausbildung im Handwerk machen, da es im Handwerk mittlerweile zum Teil bessere Verdienstmöglichkeiten gibt als die eines Ingenieurs.
Marketing statt Innovation
Der Fachkräftemangel macht es erforderlich, zunehmend in Modulbausystemen zu denken. Dies setzt aber voraus, dass die Hersteller auch tatsächlich gewillt sind, innovative Produkte zu entwickeln, die wir für die Energiewende und Klimaschutz so dringend benötigen.
Nach meiner Wahrnehmung wird mit Begriffen wie Effizienz, Wirkungsgraden, Nachhaltigkeit, Autarkie etc. in inflationärer Weise geworben, ohne dass die Produkte die möglichen Entwicklungspotentiale auch nur annähernd erreichen. Warum auch? Der Markt ist ohnehin überhitzt und der Euro rollt. Es werden eine Vielzahl von suboptimalen Paketen angeboten, die keine oder nur wenig offene Schnittstellen besitzen und uns Planer zum Verkäufer fertiger Lösungen degradieren, wenn überhaupt.
Welchen großen Firmen besitzen noch eine eigene nennenswerte Entwicklungsabteilung, die mehr macht, als über den Markt zu gehen, um zu schauen, was es noch aufzukaufen gibt. Die großen und finanzkräftigen Unternehmen stecken ihr Geld lieber in das Marketing statt in die Entwicklung. Das behindert Entwicklung in einer Zeit, wo wir Innovationen dringender denn je benötigen.
Modulbauweise mit offenen Schnittstellen statt abgeschotteter Pakete
So haben wir eine Hydraulik entwickelt, die es ermöglicht, die Effizienz einer Wärmepumpe mit Hilfe einer thermischen Solaranlage deutlich zu verbessern. Bedauerlicherweise sind viele Handwerker heute nicht mehr in der Lage, eine derartige Anlage aus einzelnen Komponenten fehlerfrei zusammen zu bauen. Dies ist dann auch die Kehrseite der Medaille von vorgefertigten Paketlösungen. Viele Handwerker werden hierdurch zu reinen Monteuren degradiert. Menschen, die wirklich noch ein Handwerk beherrschen, werden immer seltener und begehrter. Das kann man bedauern, führt aber nicht an der Tatsache vorbei, dass wir zunehmend standardisierte Lösung benötigen. Diese sollten aber modular und mit offenen Schnittstellen konzipiert werden, so dass diese Module bedarfsgerecht an die jeweilige Aufgabenstellung angepasst geplant werden können. Es werden Produkte gebraucht, mit denen Anlagen auf ihren Nutzen hin optimiert werden können, anstatt die Nutzung und Planung an die Produkte anpassen zu müssen.
Die schwierige Suche nach Entwicklungspartnern
Aus der Erkenntnis heraus, dass wir die Produkte, die wir für unsere Planungen benötigen, nicht auf dem Markt finden, suchen wir seit etwa drei Jahren z.B. einen Wärmepumpen- und/oder Komponentenhersteller, der Interesse daran hat, mit uns gemeinsam ein Sonnenhauskompaktsystem zu entwickeln. Da der Markt boomt, besteht derzeit keine Notwendigkeit, in Weiterentwicklung zu investieren. Die kleineren Unternehmen, die tatsächlich noch entwickeln, sind mit der Situation zum Teil überfordert, weil die notwendigen Ressourcen für die Entwicklung nicht zur Verfügung stehen.
Entwicklung vereinfachen – Innovationsgeschwindigkeit erhöhen!
So wäre es wünschenswert, die Weiterentwicklung von Produkten insbesondere für kleine innovative Unternehmen zu erleichtern, zum Beispiel dadurch, dass Zulassungen, Testate etc. vereinfacht werden. Denn dies ist sicherlich auch ein Hemmnis bei der Neuentwicklung von Produkten. Vielleicht wäre es auch eine gute Idee, statt den Einbau von Produkten zu fördern, mehr Fördermittel in die Weiterentwicklung und Anreize zu Innovationen zu schaffen. So könnte es auch hilfreich sein, wenn zum Beispiel bei Heizungsanlagen grundsätzlich eine Messtechnik vorgesehen werden muss, die die Effizienz des jeweiligen Wärmeerzeugers direkt messbar macht. Insbesondere beim Einsatz von Wärmepumpen könnten so Kältemittel-Leckagen frühzeitig erkannt und beseitigt werden. Allein die durchschnittlichen Jahresarbeitszahlen in realen Anlagen könnten auf diese Weise sicherlich um einige Prozent gesteigert werden. Einmal ganz davon abgesehen welche Umweltrelevanz die austretenden Kältemittel haben. Ich denke, hier könnte der Fördermittelgeber seine Instrumente deutlich schärfen und zielführender justieren.
Zuletzt:
Wert von Dienstleistung anerkennen!
Viele wollen nur noch verkaufen, wenige wollen entwickeln oder kreativ planen. Dies ist zumindest mein Eindruck. Vielleicht ist aber die Ursache ein immer stärker werdender Kostendruck. Ingenieurleistungen dürfen halt nichts kosten, so zumindest die Meinung vieler Einkäufer oder Auftraggeber.
Allen Forderungen nach einer längst überfälligen Weiterentwicklung von einer reinen Konsumgesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft sind wir hiervon weiter entfernt denn je. Aber: Wenn wir Klimaschutz ernstnehmen wollen oder müssen, kommen wir um einen Paradigmenwechsel von einer Konsum- hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft nicht umhin.
Ich habe versucht, die Gedanken etwas zu ordnen und mit Zwischenüberschriften zu versehen. Ich würde mich freuen, wenn meine Gedanken nach unserem Gespräch vielleicht eine gewisse Impulswirkung haben. Möglicherweise ist meine Situation auch speziell, da sich viele Fachingenieure mit kleineren Aufträgen erst gar nicht abgeben. Aber auch in dem Massenmarkt wird das Knowhow von Fachingenieuren dringender denn je benötigt. Wie gesagt, ich bin mit Leib und Seele Ingenieur und sehe ein enormes Potential für innovative und kreative Ideen. Ich scheue mich auch nicht, Dinge anzusprechen, wenn mir diese nicht sinnvoll erscheinen (siehe https://www.eukon.de/blog/wissenswertes/entry/sonnenenergie-joker-der-energiewende ). Damit schwimme ich sicherlich gegen den allgemeinen Mainstream an. Aber, wen alles den Bach runtergeht ist es besser sich in alle Richtungen umzuschauen und zu bewegen.
In den sozialen Medien habe ich auf meinen offenen Brief viel Rückmeldungen erhalten – vom VDI bis jetzt leider nicht:
Solare Wärme:
https://www.solarthermie-jahrbuch.de/offener-brief-kritik-an-neuer-vdi-publikation/#more-1728
PV-Magazine:
https://www.pv-magazine.de/2020/08/19/solarthermie-der-wahre-joker-der-energiewende/
Facebook:
https://www.facebook.com/eukon.de/posts/1933987410072198
LinkedIn:
https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:6701882330648313857/ Xing:
https://www.xing.com/communities/posts/fotovoltaik-und-solarthermie-gemeinsam-nutzen-1020004147
Sven
4. März 2023 @ 5:13
Guter Artikel, gefällt mir.